Schönheitsideale

Mittwoch, 23.12.2009

Eines war schnell deutlich geworden: Haile mochte die Mursi nicht. Überhaupt nicht. Seit Tagen erzählte er uns, dass sie primitiv, diebisch und einiges mehr seien. Nun denn, wir waren gespannt. Mehr noch als auf die Mursi waren wir allerdings auf den Mago National Park gespannt, in dem es neben den Üblichen Verdächtigen wie Gazellen auch Löwen und Elefanten geben sollte.

Mag sein, dass es sie dort gibt. Sehen kann man sie nicht. Dafür ist das Gras zu dicht, die Bäume zu zahlreich. Für passionierte Tierbeobachter ist der Mago eindeutig die falsche Wahl, wer sich aber für grandiose Landschaften begeistern kann, der ist dort richtig. Wir waren also durchaus zufrieden, zumal sich die Wolkendecke inzwischen gelichtet hatte und die Sonne den Dunst anstrahlte, der noch über den Tälern hing. Atemberaubend schön!

Und dann die Mursi, die mitten im Mago NP leben. Nein, halt: erst einmal der Mann mit dem Gewehr. An der Grenze zum Gebiet der Mursi wurden wir wieder einmal, wie schon im Bale Mountains NP, gezwungen, einen Ranger mitzunehmen. Und natürlich zu bezahlen, versteht sich. Der Ranger, der sich zu Haile und mir auf die Rückbank quetschte, hatte ein Gewehr dabei. Altertümlich und nicht wirklich zuverlässig aussehend. Das Gewehr, nicht der Mann. Wobei … Auf jeden Fall war das nicht ganz die Reisebegleitung, die wir uns freiwillig aussuchen würden. Und mir ist bis heute nicht klar, wen oder was der Kerl eigentlich beschützt hat: Uns vor den Mursi? Die Mursi vor uns? Oder vielleicht die nicht vorhandenen Elefanten vor den unsichtbaren Löwen? Wir werden es wohl nie erfahren. Also hakten wir es schlichtweg als ABM auf Afrikanisch ab und hofften, dass das Gewehr nicht im Auto losgehen würde.

Dabei hätte ich mir durchaus Schutz vor den Mursi gewünscht. Kaum aus dem Auto ausgestiegen, belagerten sie uns und vor allem mich – ich hatte die Kamera in der Hand, Dirk hatte seine gleich im Auto gelassen. Wir empfanden die Mursi als aufdringlicher, fordernder als die bisherigen Völker, ja in Teilen sogar als aggressiv und konnten Hailes Abneigung so langsam, aber sicher verstehen. Tellerlippen hin oder her, wir würden jedem Touristen abraten, zu den Mursi zu fahren. Wir beließen es dann auch bei einem einzigen Foto, verweigerten uns sowohl der handgreiflichen Belagerung als auch dem dreisten Fotopreis von fünf Birr. Nein, es ging uns nicht um den reinen Geldwert von ca. 30 Cent, sondern um die aggressive Selbstverständlichkeit, mit der die Mursi einen Touristen für einen Geldautomaten halten und zornig werden, wenn dieser keine Birr ausspuckt.

Und ja, an dieser Stelle könnte man erneut eine Diskussion über die Folgen des Tourismus anfangen. Machen wir jetzt aber nicht. Wir flüchteten also aus dem Dorf geradezu ins Auto und traten den Rückweg an. Unterwegs gab es dann doch noch einige Fotogelegenheiten, darunter einen jungen Mann mit beeindruckenden Schmucknarben: Angeblich, so erzählte er Tadesse stolz (oder geschäftstüchtig?), bedeuteten seine Narben, dass er bereits einen Feind getötet habe. Lassen wir das mal so stehen …

Zum Mittagessen waren wir zurück im Hotel, besuchten dann noch das kleine und wirklich sehr gut und interessant aufgemachte Museum des South Omo Research Centres, das eng mit der Uni Mainz zusammenarbeitet. Und dann war der Tag auch schon wieder zu Ende …