02. Oktober 2010: Die Philosophie der Baustelle

Oh ja, wir hätten es auch sehr gut noch ein paar Tage in der Casa Rex ausgehalten. Die nette, ständig lachende Angestellte hatte auch am Abend zuvor beim Abendessen angeboten, das unseren Chefs zu erklären. Erfolgschancen allerdings nahezu null. Deshalb brachen wir nach dem Frühstück auf Richtung Barra, wo wir ein paar Tage am Lighthouse Camping bleiben wollten. Nach zwanzig Minuten hatten wir allerdings umgedreht. Nein, nicht, um doch in der Casa Rex zu bleiben, sondern weil wir vergessen hatten, die Tip Box ordentlich zu füllen. Danach ging es dann aber endgültig zügig nach Barra. Also was man dort so „zügig“ nennt.

Wer denkt, dass Baustellen in Afrika dazu dienen, Straßen zu bauen oder zu erneuern und damit die Infrastruktur zu verbessern, der irrt sich gewaltig. Nein, wir sind nach vielen Reisen in Afrika inzwischen fest davon überzeugt, dass diese Baustellen einen ganz anderen Sinn und Zweck haben: die Menschen Geduld zu lehren.

Geduld. Ja. Bekanntermaßen eine meiner größten Tugenden. Will sagen: Ich bin fast wahnsinnig geworden, als wir hinter drei Kleinlastern den unbefestigten Weg neben der Straße entlangholperten, weil auf der Straße nämlich Baustelle war. Oh, ich hätte so gerne allen entlang der Strecke meine Meinung zur Sinnhaftigkeit der 15 Kilometer langen „Umleitung“ gesagt. Aber Dirk weigerte sich standhaft anzuhalten und ich wollte nicht aus dem fahrenden Auto springen. Andererseits – was hätte bei 17 km/h schon großartig passieren sollen?

Wendekreis des Steinbocks, Barra Lighthouse Camping

Chips statt Fish

Wir brachten die Baustelle dann doch noch mit Anstand hinter uns, kamen zwischen Inhambane und Tofo in eine (harmlose) Polizeikontrolle und erreichten am Ende einer welligen Tiefsandstrecke das Barra Lighthouse Camping. Toller Ausblick, toller Platz, nur leider war kein Mensch da. Nach lautem Rufen erschien dann doch noch ein junger Kerl, der uns erklärte, wir könnten uns einfach eine Campsite aussuchen. Und der dann wieder verschwand.

Gesagt, getan, Zelt aufgebaut, Abendessen an der Bar, die laut Lonely Planet „tasty seafood“ anbieten sollte. So viel zu unserem genialen Plan. Die Realität: Bier aus unserem eigenen Kühlschrank und zum Abendessen die letzten Chipsreserven. Ein Franzose, der ebenfalls dort zeltete, erzählte uns, der Manager sei unterwegs. Aha. Und die Jungs hatten die Bar einfach zugemacht. Na toll. Stellte sich die Frage: Sollten wir wirklich wie geplant zwei Nächte bleiben oder doch lieber am nächsten Tag weiterfahren? No Risk, no Fun – und der Platz war wirklich schön. Wir würden bleiben!

Barra Lighthouse Camping, Strand, Krabbe

01. Oktober 2010: Inseln in Sicht? Fehlanzeige. Oder doch nicht?

Na prima, so hatten wir uns das nicht vorgestellt. Wir wollten mit einer Dhow zur Insel Magaruque fahren und dort den Tag verbringen. Und für die zu erwartenden Postkartenmotive brauchten wir natürlich strahlenden Sonnenschein. Der war aber nicht zu sehen, als wir um viertel nach sechs aus dem Fenster schauten. Stattdessen sahen wir – nichts. Es war unglaublich dunstig, die Inseln, die sich sonst klar am Horizont abzeichneten, waren verschwunden. Und die einzige Änderung in Sicht: hereinziehende dunkle Wolken.

Aber Afrika hat uns in vielen Dinge gelehrt: Relax, das wird schon. Wurde es auch. Wir kamen (durch eigene Schuld – Thema Kommunikation zwischen Männlein und Weiblein) eine Viertelstunde zu spät bei Sail away-Safaris an. War aber kein Problem, eine kurze Einweisung, dann konnten wir aufs Boot. Wo acht weitere Ausflügler und die dreiköpfige Crew schon warteten. Wie peinlich! Niemand nahm uns die Verspätung übel, die Stimmung war gut. Die anderen acht waren Teil einer deutschen Overlander-Gruppe und durchweg sehr nett. Also auf nach Magaruque. Über glasklares, türkisfarbenes Wasser (ganz ruhige Fahrt – toll für mich!), während der „Chef“ Kaffee ausschenkte und schon mal die Krabben fürs Mittagessen vorbereitete.

Bazaruto-Archipel

Postkartenkitsch und Fotorausch

Als wir nach einer guten Stunde ankamen, war klar: Die Sonne würde den Dunst besiegen und uns einen wunderschönen Tag bescheren. Wir spazierten ein gutes Stündchen den Strand entlang, immer wieder begeistert von den toten Bäumen, die von Sonne, Salz und Wind ganz weiß waren und zusammen mit dem blauen Meer und dem hellen Sand tolle Fotomotive abgaben. Dirk schnorchelte danach noch kurz, bevor wir uns das leckere Mittagessen schmecken ließen.

War das lecker – und irgendwie herrlich dekadent: Da saßen wir an einem Traumstrand und aßen gemütlich Salat und Reis, dazu eine Tomatensoße mit frischen Calamari, gegrillten Big Eye Kingfish (Großaugenmakrele) und Riesenkrabben. Und das alles zubereitet auf einer einzigen Feuerstelle auf dem Boot. Warum auch immer – wir waren rundum zufrieden.

Der Nachmittag verging erneut mit Schnorcheln, Fotografieren, einfach genießen. Auf der Rückfahrt – diesmal mit gehissten Segeln, sehr fotogen – gab es dann auch noch frisches Popcorn. Sensationell. Wir waren zum Sonnenuntergang zurück in der Casa Rex, duschten Sand und Salz ab und freuten uns schon wieder auf das Abendessen: Squid in Garlic and Lemon Butter, dazu ein kühler südafrikanischer Weißwein. Weitere Kommentare überflüssig.

Bazaruto-Archipel, Strand

30. September 2010: Wir machen nix!

Vilankulos, Casa Rex

Was war das schön! Wir hatten uns für diesen Tag genau eines vorgenommen: Relax! Und das setzten wir vom frühen (wirklich frühen) Morgen an in die Tat um. Um zwanzig vor sechs waren wir beide hellwach. Frühstück gab es allerdings erst ab sieben, also blieb uns nichts anderes übrig: Wir mussten die Balkontür weit aufmachen und vom Bett aus einfach eine Stunde lang nichts weiter tun, als auf den dunkelblau bis türkisfarben schimmernden indischen Ozean zu schauen.

Um kurz nach sieben saßen wir hungrig am Frühstückstisch. Ja, der afrikanische Rhythmus hatte uns im Griff und wir genossen es in vollen Zügen. Welche eine Aussicht auf einen faulen Tag. Und welch ein Frühstück zum Start: Eier, Speck, Grilltomate, Bohnen, … Pancakes, frische Fruchtsäfte, Obst, … Einfach nur herrlich. Und danach? Danach lagen wir lesend in der Sonne (na gut, meist eher im Schatten), gönnten uns zwischendurch eine Abkühlung im Pool und dann ein kleines Mittagessen mit zwei Gläsern gut gekühltem südafrikanischem Weißwein. Es lässt sich nicht anders sagen: Uns ging es richtig gut.

Der Nachmittag verlief ähnlich aufregend, am Abend ließen wir uns wieder das leckere Essen in der Casa Rex schmecken und freuten uns auf den nächsten Tag. Also Dirk freute sich wie ein Keks und ich war skeptisch. Mit einer Dhow zu einer der Inseln im Bazaruto-Archipel sollte es gehen. Mit einer Dhow. Hilfe!!!

29. September 2010: Hallo Strand!

Es war wieder einmal eine Befreiung: endlich eine Nacht in „unserem“ Dachzelt. Wir hatten gut geschlafen, in den Schlaf gerauscht von der nahen Meeresbrandung, und waren fast eine Stunde vor dem Weckerklingeln wach. Um viertel vor sechs trieb uns die aufgehende Sonne aus dem Zelt. Schnell zusammenpacken und dann erst einmal zum Fotografieren an den wunderschönen Strand. Auf den paar Metern dorthin begegnete uns der Bäcker mit seinem Fahrrad und versorgte uns erst einmal mit süßem Gebäck. Willkommener Proviant für die lange Strecke, die an diesem Tag vor uns lag. Bevor wir Richtung Vilankulos aufbrachen, schauten wir aber amüsiert den Krabben zu, die immer ins Wasser liefen und von den Wellen zurück auf den Strand geworfen wurden. Also wieder von vorne … Ein witziges Schauspiel.

Xai Xai, Strand

Ein Loblied auf den Straßenbau

Um viertel nach sieben waren wir abfahrtbereit, vor uns lagen 450 Kilometer bis Vilankulos. Eigentlich nicht viel, aber in einem Land, in dem man optimistisch mit einem Schnitt von 60km/h kalkuliert, kann das eine lange Strecke werden. Und gleich hinter Xai Xai bekamen wir dann auch schon einen Eindruck, was in zahlreichen Reiseberichten mit „schlaglochübersähter Piste“ gemeint war. Die Straße war mehr Loch als Teer. Slalomkünste und Reaktionsvermögen waren gefragt.

Zum Glück war dieser Flickenteppich nach gut 20 Kilometern schon wieder zu Ende, der Rest der Strecke war bereits neu – Mosambik hat in den letzten Jahren irrsinnigen Aufwand im Straßenbau betrieben – und entsprechend gut ließ sich die Strecke fahren. Wenn man ein wachsames Auge auf die Menschen und Tiere am Straßenrand hatte, versteht sich. Wir lagen gut im Zeitplan, daran änderte auch die kilometerlange, nervige Baustelle hinter Massinga nichts mehr. Und die Polizeikontrollen waren ebenfalls deutlich weniger geworden. Alles in allem also trotz der Länge eine recht entspannte Fahrt.

So muss Urlaub sein

Gleich für drei Nächte hatten wir uns in der Casa Rex in Vilankulos eingebucht. Und das war eine gute Entscheidung gewesen. Denn kaum hatten wir gegen halb vier endlich das Zimmer bezogen, stand unser Urteil auch schon fest: traumhaft! Mit einem kühlen mosambikanischen Bier saßen wir auf unserem Balkon, schauten aufs Meer und spürten, wie sich ganz langsam von hinten die Entspannung anschlich. Ein leckeres Abendessen, bei dem Dirk zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem allgegenwärtigen, höllisch scharfen Peri-Peri machte, zum Abschluss ein Irish Coffee und nach drei Seiten Bettlektüre fielen uns auch schon wieder die Augen zu.

Vilankulos, Casa Rex

28. September 2010: Jetzt gibt der Kruger nochmal alles

Halb sechs. Aufstehen zum vorerst letzten Game Drive im Kruger, danach Aufbruch ins Abenteuer Mosambik. Das Wetter war immer noch indiskutabel, zu allem Überfluss regnete es Asche von einem nahen Buschbrand. Ja, auch diese Aschewolken verfolgen uns seit Neuestem im Urlaub … Der Game Drive war trotzdem erfolgreich: ein Blassuhu auf einem Baum, vier faule Löwen im Gras, eine riesige Büffelherde, gleich mehrere Nashörner und dann auch noch eine Löwin an einem Riss, umringt von hungrigen Hyänen und lauernden Geiern. Wenn das kein Spektakel war! Einziger (und wahrlich nicht zu unterschätzender) Wehrmutstropfen: Für halbwegs brauchbare Fotos fehlte definitiv das Licht.

Gegen halb elf checkten wir aus – allerdings nicht, ohne uns für das Ende der Reise gleich noch eine Nacht auf der Campsite in Crocodile Bridge zu reservieren. Wir holten in Komatipoort noch einmal Rand aus dem Geldautomaten und fuhren dann zur Grenze. Eine sehr afrikanische Grenze. Auf südafrikanischer Seite ging alles noch halbwegs fix und problemlos, auch wenn auf den Zolldokumente zunächst ein paar Angaben fehlten und uns der Zöllner angesichts unseres namibischen Kennzeichens etwas irritiert fragte: „But why do you drive from Namibia to Mozambique? Namibia is very beautiful!“

Löwe, Kruger Nationalpark

Über die Grenze in eine andere Welt

Ja, das finden wir bekanntlich auch. Aber Mosambik soll doch auch sehr schön sein?! Wir hatten in den vergangenen Tagen schon lernen müssen, dass die Südafrikaner nur zwei Meinungen zu ihrem Nachbarland kennen: Sie lieben es oder sie hassen es. Nun denn, wir wollten uns selbst ein Bild machen und rollten auf den Grenzposten auf mosambikanischer Seite zu.

Wir wussten: Es gibt an der Grenze nach Mosambik genau zwei Möglichkeiten – entweder versucht man sich alleine durch den portugiesisch-englischen Formular- und Papierwust zu kämpfen oder man überlässt das einem offiziellen Grenz-Guide. Der dann nicht mehr ganz so offiziell für seine Hilfe ein kleineres oder auch gerne etwas größeres Entgelt erwartet. Fragwürdiges Spiel, das wir aber mitgespielt haben. Und so zumindest deutlich schneller durch waren, als das deutsche Pärchen, das es vor uns alleine versuchte. Wobei „schneller“ bedeutete, dass wir eine geschlagene Dreiviertelstunde gebraucht hatten.

Ausgestattet mit einem tatsächlich wunderschönen Visum samt Foto (ich mit meinen verpennten Haaren!) und 10.000 Meticais aus dem Geldautomaten an der Grenze machten wir uns also auf den Weg nach Xai Xai. Und fanden uns hinter der Grenze unvermittelt in einer ganz anderen, viel afrikanischeren Welt wieder. Namibia, Botswana, Südafrika sowieso sind dem ersten Anschein nach durchaus recht nahe an Europa. Mosambik hingegen erinnerte uns sofort sehr viel mehr an Gambia oder auch an Äthiopien: Das Leben findet auf der Straße statt, es ist laut, es ist bunt, es ist chaotisch. Kurz: Es ist afrikanisch.

Das merkten wir vor allem während der Fahrt durch Maputo mit seinen vollgepackten Kleinbussen, den zweispurigen Straßen, die vierspurig befahren werden, und den vielen, vielen Menschen, die dazwischen herumwuseln. Afrika pur, irgendwie anstrengend und doch klasse zugleich. Das war vielversprechend.

Die Suche nach dem Bett

Wir hatten vor der Reise viel über die Polizeikontrollen und die vermeintlich korrupten Polizisten gelesen und waren gespannt, was nun alles passieren würde. Unser Auto, da waren wir uns sicher, entsprach allen mosambikanischen Anforderungen: gut sichtbare gelbe Warnwesten, reflektierendes Dreieck auf der vorderen Stoßstange, Aufkleber des Herkunftslandes auf der Rückseite. Und Dirk achtete peinlichst genau darauf, die Geschwindigkeitsbegrenzung deutlich zu unterschreiten. Trotzdem waren wir nach allen Berichten ebenso sicher: Es war nur eine Frage der Zeit, bis man uns anhalten und uns eine Geldbuße (Standard: 1.000 Meticais) aufbrummen würde. Mit welch fadenscheiniger Begründung auch immer.

Bis Xai Xai stand durchschnittlich alle 20 bis 30 Kilometer eine Polizeikontrolle am Straßenrand. Keine davon winkte uns raus. Glück gehabt. Dreimal auf Holz geklopft, auf dass es so bleiben möge. Es war schon gegen fünf am Nachmittag und damit kurz vor Sonnenuntergang, als wir in Praia do Xai Xai ankamen. Die Grenzformalitäten und auch die Fahrt, besonders quer durch Maputo, hatten länger gedauert als erwartet. Und wir hatten noch keine Unterkunft. Vorbuchen wollten wir nicht, weil eben unklar war, wie lange alles dauern würde, wie weit wir an diesem Tag kommen würden. Und im Reiseführer klang es, als habe Xai Xai touristische Infrastruktur und damit ausreichend Unterkunftsmöglichkeiten.

So viel zur Theorie. Wir fingen beim ersten Hotel an: hässlich, irgendwie schäbig, ach nee, lass uns weiterfahren. Die zweite Unterkunft: ganz hübsch – aber leider noch nicht eröffnet. Die dritte: kürzlich abgebrannt und der Besitzer aus lauter Verzweiflung sturzbetrunken. Die vierte: irgendwie seltsam und mit 100 Euro für ein self-catering Appartement auch deutlich überteuert. Zumal wir nichts zum self catern dabei hatten … Bei der fünften hatten wir dann endlich Glück: Das Chongoene Holiday Resort hatte zumindest noch eine Campsite für uns. Nicht gerade von berückender Schönheit, aber völlig okay, und an der Bar bekamen wir abends ein halbes Kilo Riesengarnelen für umgerechnet nicht einmal fünf Euro. Lecker!

Merke: Xai Xai scheint nicht der geeignete Ort, sich spontan eine Unterkunft zu suchen! Zumindest nicht, wenn man so gnadenlos anspruchsvoll ist wie wir …

Mosambik