Freitag, 17. Mai 2024
Tiflis, oder auch Tbilisi, hat uns einfach gefangen. Schon in den ersten zehn Minuten. Was für eine wunderbare Stadt! Und das, obwohl sie gar nicht unbedingt die großen Ooohs und Aaaahs zu bieten hat. Dafür aber an jeder Ecke einen wohligen Seufzer, weil es einfach so schön ist. Ein Gefühl. Und was für eines.
Man könnte meinen, die Georgier hätten ihre Hauptstadt in einen Wald gebaut, so viele große, alte Bäume stehen hier. Dazwischen Kirchen, Kopfsteinpflasterstraßen, nein, wie eine Hauptstadt mit mehr als einer Million Einwohner mutet Tbilisi nicht an. Die Häuser in den touristischen Ecken sind wunderhübsch herausgeputzt. Ein paar Straßen weiter regiert der marode Charme des Verfalls. Und trotzdem ahnt man, welch Glanz hier einmal geherrscht haben muss.
Wir jedenfalls sind dieser Stadt verfallen, kaum dass wir zehn Schritte gemacht haben. Das herrliche Wetter, das sei zugegeben, hat daran auch seinen Anteil. Und so bummeln wir durch die Straßen (die zumeist, Millionenmetropole hin oder her, eher Gassen sind), lassen uns treiben und genießen unseren ersten Urlaubstag.
Wie gesagt: Die großen atemberaubenden Sehenswürdigkeiten hat Tbilisi gar nicht im Angebot. Und doch sind die Schwefelbäder, die Sioni-Kathedrale, der schiefe Uhrturm … wunderbare Wegpunkte beim Bummeln durch Georgiens Hauptstadt.
Wir spazieren noch durch Sololaki, ein Viertel, das trotz des teilweise erschreckenden Zustands wunderschön ist. Und am Ende landen wir natürlich auf dem Liberty Square. Wo sich gerade ein Band aus mehreren zehntausend Menschen entlangzieht. Die schon seit Wochen andauernden Proteste gegen das sogenannte Agentengesetz.
Freunde wie Familie waren deswegen extrem beunruhigt. Ob wir da wirklich hinfahren wollen? Das sei viel zu gefährlich. Wir nahmen es im Vorfeld eher gelassen und waren gespannt. Und können an diesem Nachmittag wieder einmal beobachten, wie verzerrt Berichterstattung ist. Eine Verzerrung, die mit kultureller und geographischer Entfernung exponenziell wächst.
Nicht falsch verstehen: Massendemos können aus dem Ruder laufen. Und auch bei den aktuellen Protesten gab es schon gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Das alles ist uns klar und deshalb halten wir Abstand (die eine mehr, der andere weniger …).
Aber als wir auf dem Liberty Square ankommen, fragen wir uns im ersten Moment ernsthaft, ob das jetzt Proteste oder Pfingstprozessionen sind (wir verstehen halt kein Wort und können auch die Plakate nicht lesen). Alles ist friedlich. Die Demonstranten singen (ok, zwischendurch skandieren sie auch lautstark), dazwischen rennen Kinder herum. Und die Polizei leitet den Verkehr um und hält völlig entspannt Abstand.
Auch das ist ein Blick auf die in den heimischen Medien ach so fürchterlich dargestellten Demonstrationen. Die Lehre daraus? Wie es wirklich ist, weißt du nur, wenn du mittendrin bist. Und selbst dann bleibt es deine subjektive Wahrnehmung.
So, jetzt aber genug der ernsten Themen, widmen wir uns einem anderen, sehr viel schöneren: dem georgischen Essen! Nach so viel Lauferei gönnen wir uns eine Pause. Im supersüßen Café Leila bestellen wir zwei Gläser georgischen Weißwein und – so denken wir jedenfalls – eine kleine gemischte Vorspeise, die wir uns als Nachmittagssnack teilen wollen.
Was tatsächlich kommt, ist bis zum Anschlag lecker … und hätte auch noch locker zwei oder drei andere Menschen satt gemacht. Die Phkali, unterschiedliche Pasten aus gehackten Walnüssen, Gemüse und Kräutern, und die ganz einfachen georgischen Käse sind einfach wunderbar. Das dazu gereichte warme Maisbrot sorgt dafür, dass auch wirklich, also ganz wirklich niemand hungrig vom Tisch aufsteht.
Was für ein Tag! Was soll ich sagen? Wir sind verliebt in Tbilisi und gespannt auf die nächsten Stationen unserer Reise.
Chronistenpflicht: Wir sind am späten Nachmittag zurück im Sole Palace – und bleiben da auch. Zu satt, um noch essen zu gehen. Zu müde von einer doch anstrengenden Anreise, um nochmal spazieren zu gehen.
Unsere geplante Reiseroute:
Ich fand ja schon die abblätternde Wand schön, aber der Uhrenturm ist der Hit!
Und dass euch die Hauptstadt gefallen hat, sieht man den Bildern an.